Dienstag, 20. Februar 2007

Warum überhaupt?

Die erste Frage, die ich mir unwillkürlich stelle, ist: Warum überhaupt? Warum sollten wir unser natürliches Aussehen verändern?
Das ist eine ernsthafte Frage. Denken Sie ein paar Sekunden darüber nach.
Zuhause, wenn wir Freizeit haben und gewiss sein können, dass uns niemand stört, laufen wir meistens ungeschminkt herum, ohne auf unsere Kleidung oder unser Gesicht oder die Farbe unserer Schuhe achtzugeben. Es sieht uns ja keiner. (Sie gehören nicht zu dieser Spezies? Dann sollten Sie sich umso mehr einmal fragen, warum Ihnen das Verändern Ihres Äußeren so zur zweiten Gewohnheit geworden ist.)

Warum tun wir die Dinge, die wir tun? Warum schminken wir uns und achten auf unser Äußeres? Natürlich ist der Wunsch, sich schön zu kleiden und schön auszusehen, so alt wie die Menschheit. Man kann auch alles auf das biologisch in uns verankerte Verhalten zurückführen, sich einen Partner angeln zu wollen, egal ob diese Flirtsignale an das andere Geschlecht allgemein gerichtet sind oder an einen bestimmten Menschen, dessen Aufmerksamkeit wir erregen wollen.
Aus diesem Grund ist es für viele Mädchen im Teenageralter auch ein Kampf, sich erstmals schminken zu dürfen, denn implizit wird der Umwelt dadurch signalisiert: Ich wünsche mir einen Partner, ich bin bereit für erste sexuelle Aktivitäten. Dass die eigene Familie diesen Standpunkt nicht immer genauso vertritt, ist klar. Aber da haben wir ja auch schon die erste wirklich ausgesprochen polemische These:

1. Wir verschönern unser Äußeres, weil wir Sex wollen.

Jeder Biologe wird Ihnen diese These mit hinreichenden Beispielen aus der Natur untermauern können. Denken Sie mal nach: Welche Anzeige für Lippenstift oder Parfum kennen Sie, die nicht auf dem Anziehungsfaktor Sexualität aufbaut? Ihnen fallen tatsächlich welche ein? Es sind allerdings sehr wenige im Vergleich zur Flut an unterschwelligen Einladungen, nicht wahr? Damit wird automatisch jedem geschlechtsreifen Menschen - und besonders den Frauen - unterstellt, dass nicht sexy ist, wer keine Schminke trägt. Und es wird ebenfalls unterstellt, dass alle geschlechtsreifen Menschen Sex wollen. (Na gut, das mag stimmen, aber betrachten sie mal, wie das von der Werbung genutzt wird.) Aber stimmt diese Behauptung für alle?

Betrachten wir uns Klassenkameradinnen in einer achten Klasse. Mittlerweile weiß jeder, wer Freund oder Feind ist, für wen man heimlich schwärmt und wer cool ist, und einschlägige Jugendzeitschriften hat jeder schon mal gesehen, einige rauchen bereits. Cliquenwirtschaft und Freundeskreis sind ungemein wichtig. Man zieht ähnliche Hosen und Jacken an, lässt sich eine ähnliche Frisur verpassen und - fängt ebenso an, sich zu schminken, weil alle anderen das genauso tun.

2. Wir verschönern unser Äußeres, um zu einer Gruppe dazuzugehören.

Das gilt übrigens auch für die Arbeitswelt - hier kann die richtige Kleiderwahl durchaus Professionalität und Respekt vor dem Kunden oder dem Betrieb ausdrücken. Auf öffentlichen Veranstaltungen (insbesondere im Theater) ist sie sogar notwendig, um die Wirkung des Scheinwerferlichts zu berücksichtigen.
Die Werbeindustrie der Kosmetikbranche verdient viel Geld mit dieser Annahme.
Aber es gibt noch mehr Beispiele für Äußerliche Veränderungen. Betrachten wir eine Gruppe von Kindern beim Fasching, fällt auf, dass sich viele gern von einer Visagistin in Löwen, Katzen oder Schmetterlinge verwandeln lassen. Der Grund hierfür:

3. Wir verschönern uns, um jemand anderes zu sein.

Mit der Brechung des Erwachsenseins wird diese Einstellung erst recht interessant - aber auch sehr gefährlich, wenn sie im alltäglichen Leben untergebracht wird und mit einer Art von Selbstverleugnung und Heuchelei zu tun hat. Wenn das bei Ihnen der Fall sein sollte, fehlt Ihrem Auftreten oft die Authentizität, die Ehrlichkeit, die Sie zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit macht. Oft steckt dahinter - wieder - der unbedingte Wunsch, zu einer Gruppe dazuzugehören. Wenn diese Heuchelei aber auf Dauer betrieben wird, macht sie die Seele krank. In diesem Fall sollte man die Gruppe einfach Gruppe sein lassen, sich auf der Suche nach einer neuen begeben und möglichst weiter keinen Gedanken an die alten umworbenen Menschen verschwenden. Diese Entscheidung kostet Kraft und Mut.

Auch, wenn sie dieses Versteckspiel zur Partnerwahl einsetzen werden, haben Sie nicht unbedingt Erfolg damit. Denn was soll werden, wenn der mühevoll aufgebaute Zauber dahin ist und Ihr Partner mit ihrer eigentlichen Persönlichkeit nichts anzufangen weiß? Er wird früher oder später flüchten, und Sie sind um eine demütigende Erfahrung reicher.

Dort, wo das Versteckspiel nicht nur erwünscht ist, sondern gefordert wird, kommt extrem viel Schminke zum Einsatz: Im Theater und auf der Bühne. Diese Schminke ist dicker als handelsübliche Alltagsschminke und speziell für Bühnenbedürfnisse geschaffen. Wer damit auf der Straße umhergeht, fällt auf. Eine ähnlich pastose Schminke wird auch für andere Zwecke verwendet:

4. Wir verändern unser Aussehen, um anderen Angst einzujagen.

Das ist natürlich besonders bei der Kriegsbemalung der Fall. Aber solange Sie nicht einem Stamm der Hopi-Indianer angehören oder aus Spaß so tun, als wären Sie einer, werde ich diesen Punkt fürs erste einfach außer Acht lassen.

Andererseits gibt es tatsächlich Menschen, die ihr Make-up so stark übertreiben, dass es schon fast als Kriegsbemalung gelten kann. Schönheitswettbewerbe sind dafür manchmal ein gängiges Beispiel.

5. Wir verändern unser Aussehen, um aufzufallen.

Sie sind Model? Dann wissen Sie, wie wichtig die Schminke ist, wie wichtig die Frisur ist, um ein Produkt wie ein Kleid richtig verkaufen zu können. Dasselbe gilt für Clowns, Pantomimen, Artisten, Maskottchen, Punks, Verteiler für Flyer, Gleisarbeiter bei der Bahn (wobei dies allerdings eher mit Verkehrssicherheit zu tun hat) und Kleinkunst-Darsteller, die weithin sichtbar sich selber zur Werbefläche machen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Eine Meisterin dieser Art aufzufallen ist wahrscheinlich Nina Hagen.

Im Kleinen funktioniert das auch mit Makeup: Tragen Sie roten Lippenstift und rot lackierte Fingernägel, lassen Sie Ihre Haare möglichst offen und ziehen Sie ein rotes Kleid an. Dann zählen Sie die Blicke der Leute, die Sie ansehen. Rot ist natürlich die Signalfarbe par excellence, das wissen Sie. Versuchen Sie dasselbe mit der Farbe grau, und das Ergebnis wird vermutlich deutlich anders ausfallen. Aber zum Schluss der vielleicht wichtigste Punkt:

5. Wir verschönern unser Aussehen, weil es uns Spaß macht.

Sie lieben Farbe auf ihrem Gesicht? Sie mögen das Gefühl von wohltuenden Cremes, zartem Puder und Lidschatten auf ihrer Haut? Sie finden es wunderbar, sich mit allen Produkten, die die Kosmetikindustrie so hergibt, zu behandeln, Make-ups und Frisuren auszuprobieren, eine kleine Modenschau vor dem Spiegel daheim aufzuführen, und sich sofort danach wieder abzuschminken, ohne dass ein Mensch ihre Verwandlung bemerkt hätte? Dann haben Sie wahrscheinlich schon alles Mögliche ausprobiert, was sich mit diesen Produkten anfangen lässt, und amüsieren sich prächtig über diese Seite. Herzlichen Glückwunsch, sie haben ein unbefangenes Verhältnis zur Kosmetik. Solange Sie dafür nicht ihr halbes Monatsgehalt aufwenden müssen, ist alles in Ordnung.

Nach dieser kurzen Einführung noch einmal die Frage an Sie, lieber Leser oder liebe Leserin: Warum verschönern Sie Ihr Äußeres? Ist es für Sie eher Pflicht oder eher Spiel? Gehört das Verändern zu ihrem Beruf oder haben Sie einen offiziellen Dresscode zu beachten?

Ganz unter uns: Sie müssen das nicht tun, wenn Sie nicht wollen. Ganz ehrlich. Benutzen Sie nur die Produkte, die Sie wirklich brauchen: Ein Duschgel oder Seife, Shampoo und Spülung, ein Deodorant und eine Hautcreme. Kämmen Sie sich. Rasieren Sie sich, falls Sie ein Mann sind, und sorgen Sie für einen guten Haarschnitt, der wenig Aufwand erfordert und den Sie lange tragen können. Alles andere kostet meistens Geld.

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